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Grand Theft Auto IV Wunderschöne Welt des Schießens

Stehlen, ballern, töten - in ungekannter ästhetischer Brillanz und im eigenen Wohnzimmer. Für Spieleliebhaber ist Grand Theft Auto IV eine Sensation, für Kritiker ein Symbol grauenvoller Verrohung. Die Verbotsdebatte beginnt schon, bevor irgendjemand das Spiel zu sehen bekommen hat.

Natürlich trifft ein Spiel wie "Grand Theft Auto" auf Kritik. Ziemlich lebensecht wird da geballert, geraubt und geschlagen. Erfolgreich ist es auch noch, allein die dritte Version ging mehr als 20 Millionen Mal über die Ladentheke. Insgesamt kommt die Serie auf 65 Millionen Verkäufe. Auch vom vierten Teil wird erwartet, dass er zum Blockbuster wird - alles andere wäre eine Überraschung. Und weil das so ist, interessiert sich nicht nur die publizistische Kritik der Spiele-Presse dafür, sondern auch Kritiker aus anderen Teilen der Gesellschaft.

Die eine Kritik fällt dabei euphorisch aus, die andere vernichtend.

So zog die renommierte Tech-Seite CNet einen Mittelwert aus den Bewertungen von 15 bisher erschienenen Spielekritiken zu "GTA IV: Liberty City" - und kam auf 99 von 100 Punkten.

Kein Wunder: Kaum ein Action-Spiel bietet mehr Möglichkeiten der freien Bewegung in einer hoch komplexen Spielewelt, in der jeder Spieler eine in Maßen individuelle Karriere durchläuft. Seine eigene Geschichte schreibt, wenn man so will. So etwas kommt an.

Allerdings gibt "GTA" grundsätzlich vor, dass diese Geschichte die eines Kriminellen ist. Der stiehlt Autos, treibt Schutzgelder ein, beseitigt Widersacher und bewegt sich gern im schlüpfrigen Mileu der hochtätowierten Herrschaften und extrem knapp bekleideten Damen. Die zahlreichen Gegner des Spiels empört nicht nur das, sondern auch die durch die Freiheit des Spiels ermöglichte Option, sich einfach nur gewalttätig daneben zu verhalten.

Für manche Spieler ist es ein anarchischer Spaß, nicht etwa seinen Spielaufträgen zu folgen, sondern Passanten zu überfahren, willkürlich in die Luft zu jagen oder - was bei "GTA San Andreas" im Rahmen eines so genannten Mods (einer Modifikation durch externe Programmierer ) möglich war, die ein eigentlich verborgenes Mini-Spiel freischaltete - sich sexuell auszuleben.

Das sind die Bilder, die in der Öffentlichkeit von "GTA" hängen blieben. Sie rufen bei jeder neuen Veröffentlichung die Kritiker auf den Plan, die am liebsten nicht nur "GTA", sondern das ganze Genre der Actionspiele ganz verbieten würden. Das wird auch bei "GTA IV" nicht anders werden: nicht auszuschließen, dass das Spiel noch Wellen bis in den US-Wahlkampf hinein schlägt. 2005 bemühte sich keine geringere als Hillary Clinton um ein Verbot der letzten Version, "GTA San Andreas".

Regional zensierte Versionen

In Australien ist "GTA IV" schon mit Karacho vor die Wand gefahren. Anders als in Deutschland gibt es dort keine Freigabe für Videospiele für Käufer über 18 Jahre, die höchste Stufe der Altersfreigabe liegt in Australien bei 15 Jahren aufwärts. Ein Spiel für ein volljähriges Publikum ist "GTA" aber ohne Frage. Folglich erscheint in Australien nur eine zensierte, gekürzte Version.

Schlagzeilen machte nun, dass bei GTA IV auch der Umweg des Online-Einkaufs über Neuseeland verbaut ist: Dort könnte das Spiel zwar prinzipiell ab 18 Jahre freigegeben werden. Weil auch dort die Jugendschutzbehörden aber Auflagen machten, kommt nun einfach die australische Version in den Verkauf - ärgerlich für dortige Online-Händler, die daraufhin Vorbestellungen im fünfstelligen Dollar-Bereich stornieren mussten.

Das hat seltsame Nebenwirkungen. Statt einer nicht jugendfreien Version kommt in Neuseeland nun eine nach australischen Maßstäben jugendfreie in den Verkauf - dort allerdings erst ab 18. Der neuseeländischen Kinderschutzorganisation Family First ging auch das nicht weit genug, sie verlangte ein generelles Verkaufsverbot.

USA: Wohnzimmerspaß mit Warnhinweis

In den USA darf "GTA" an alle ab 17 verkauft werden. Der Karton wird martialische Warnungen tragen, die auf "intensive Gewalt, Blut, unanständige Sprache, stark sexuelle Inhalte, teilweise Nacktheit" und dem "Gebrauch von Drogen und Alkohol" hinweisen. Das aber war dem amerikanischen Entertainment Software Rating Board (ESRB), das die Altersfreigaben definiert, noch nicht deutlich genug. Zusammen mit dem National Institute on Media and the Family gab die Behörde am Freitag eine Erklärung heraus, die Eltern zu einem bewussten Umgang mit dem drohenden Blockbuster mahnte: Die Veröffentlichung des neuen Spieles gebe Anlass, heißt es da, "Eltern daran zu erinnern, dass ihre Kinder nur Spiele bekommen, die für ihr Alter und ihre Reife angemessen" sein sollten. "Es ist äußerst wichtig, dass Eltern die zugewiesenen Altersfreigaben beachten."

In Chicago verbat die Stadtverwaltung jede Werbung für das Spiel an öffentlichen Gebäuden und im Personennahverkehr: "GTA"-Poster zieren im Augenblick eine Menge Busse. Klingt, als würde da Nitroglyzerin verkauft, auf jeden Fall aber Trash, kulturell und gesellschaftlich bedenklicher Müll.

Um so verwunderlicher, dass das Spiel in den Medien bisher einen ganz anderen Widerhall findet - und zwar nicht im Boulevard oder im Vermischten, sondern im Feuilleton. Seth Schiesel konnte für die sonst gänzlich Trash-unverdächtige "New York Times" als einer der ersten Mainstream-Journalisten das Spiel durchspielen. Sein in Teilen begeistert klingender Bericht erschien auf der "Arts"-Seite - wo sich sonst alles um Kunst dreht.

Euphorische Gegenstimmen

Kann so etwas Kunst sein? Schiesel meint: Ja. Ihn habe das "überzeugende Werk", das kulturkritische Satire als Spaß verkleide, mitunter an eine "nicht jugendfreie Version des 'Mad'-Magazins" mit Dave Chappelle und Quentin Tarantino in den Hauptrollen erinnert. Unter dem Strich setze "GTA IV" einen neuen Standard dafür, "was in interaktiven Künsten möglich ist".

Genauso wollen die Macher vom britischen Spiele-Entwickler Rockstar ihr Werk verstanden wissen: als ironisch, teils offen satirisch. Im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE macht "GTA"-Schöpfer Dan Houser klar, was das für eine Welt sei, in der man sich in "GTA" bewege: "Es ist Amerika, wie man es aus Nachrichten und Serien und Filmen kennt. Nicht das echte Amerika."

Sprich: Es ist eine verrückte, anarchische, gewalttätige Karikatur einer Kultur. Eine Welt, in der jeder ein Verbrecher ist, Autos grundsätzlich rasen und schleudern und explodieren, jeder bis an die Zähne bewaffnet ist, die Kerle noch echte Kerle und die Miezen eben Miezen sind. Das Spiele-Äquivalent zum geistlosen, aber vielleicht spaßigen "Jetzt hab ich aber wirklich Feierabend"-Fernsehprogramm ab 23 Uhr. Nichts für Kinder, keine Frage. Aber ein Anlass, gleich nach neuen Gesetzen zu rufen?

Was sagen die Macher?

Der britische Spieleentwickler Rockstar sieht jedenfalls keine Notwendigkeit, seine "GTA"-Spiele von vornherein zu entschärfen. "Für mich ist "GTA" die Videospielversion eines Gangster-Romans", sagt Entwickler Dan Houser im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. An Gewalt hätten sich die Gemüter auch schon bei anderen Medien entzündet. Wenn es verlangt werde, dann schneide man für bestimmte Märkte eben bestimmte Dinge heraus, "wie in Deutschland".

Hier erscheint das Spiel ohne Jugendfreigabe ab 18 Jahre (PS3 und X-Box, 65 Euro). Dass es seinen Weg auch in Kinderzimmer finden wird, ist leider klar: Natürlich gibt es einige wenige Händler und massenhaft Eltern, die ihrer Verantwortung hier nicht nachkommen.

Für konservative Kritiker wie den Kriminologen Christian Pfeiffer oder den bayerischen Ministerpräsidenten Günther Beckstein (CSU) sind das alle Jahre wieder Steilvorlagen, nach einem generellen Verbot solcher Spiele zu rufen. Rückenwind erhalten sie jedes Mal, wenn irgendwo ein Gestörter an irgendeiner Schule die dank Schützenverein vorzugsweise legal geführte Waffe zückt. Bisher sind diese Debatten noch immer versandet (die über Schützenvereine fanden noch nicht einmal statt).

Denn natürlich kann man argumentieren, dass auch niemand Rambo verbietet. Die Videotheken und das Nachtprogramm des Kulturmediums Fernsehen sind prall gefüllt mit völlig hirnlosen Ballerorgien, die weit über alles hinausgehen, was "GTA" oder andere Titel ihren Spielern zumuten.

Die Debatte wird das nicht verhindern - und wohl kaum zum Leidwesen des Spiele-Publishers: Letztlich ist das so unbezahlte wie unbezahlbare Werbung. An zahlreichen Orten der Welt wird es Fans geben, die vor Elektronikmärkten lagern, um beim Mitternachtsverkauf die ersten Boxen zu ergattern. Bis Jahresende, prognostizieren die Marktforscher von Jupiter Research, dürfte "GTA IV" allein in den USA satte sechs Millionen Mal verkauft werden. Wie viele das Spiel dann noch wegfinden, statt es zu kaufen, steht in den Sternen: Bereits in der vergangenen Woche kursierten angeblich Kopien der Diebstahlsorgie in P2P-Börsen.

Aber vielleicht war auch das nur virale Werbung, die zur Legende beiträgt.

Am Dienstag: "GTA"-Entwickler Dan Houser im Interview mit SPIEGEL ONLINE.

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